111 Erker - und keiner wie der andere
Beim Spaziergang durch die verwinkelte St.Galler Altstadt bietet sich dem Gast ein ungewöhnlich abwechslungsreiches Bild: 111 Erker - wobei keiner dem anderen gleicht - schmücken die ansonsten eher schlichten Fassaden der mittelalterlichen Kaufmannshäuser. Die holz- oder steinsichtigen Anbauten brachte man damals vor den repräsentativen Wohnräumen an, die im ersten Stock und manches Mal auch zusätzlich im zweiten Stock der Kaufmannshäuser lagen. Die dargestellten Szenen und Motive gaben den Erkern häufig ihre Namen. So findet man in der Spisergasse hinter dem Stiftsbezirk im Osten der Altstadt beispielsweise den "Sternen" - und den "Bären" -Erker, in der benachbarten Schmiedgasse den "Schwanen" - und den "Pelikan" -Erker oder den "Kugel"-Erker in der gleichnamigen Gasse, den ein prunkvoller Erdball ziert.
Einer der berühmten frühen Erker aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts schmückt das spätmittelalterliche "Haus zum Greif" in der Gallusstrasse, zu deren Seite sich der historische Stiftsbezirk mit seiner weithin sichtbaren barocken Kathedrale öffnet. Der eingeschossige Anbau ist in Renaissance-Manier überreich mit Holzschnitzereien nach alttestamentarischen Themen bestückt. Überaus irdisch mutet hier die Szene an, in der Jakob mit dem Engel ringt - nicht engelsgleich entrückt, sondern handfest und beherzt packt der geflügelte Bote Gottes Jakob am Bein und versucht ihn umzustossen.
Bildung und Weltläufigkeit zeigen sich häufig in besonders exotischen Darstellungen von Pflanzen, Früchten, Tieren und Menschen. 1720 entstand der barocke, zweigeschossige "Kamel"-Erker in der Spisergasse, eine wahres Prunkstück, auf dessen Brüstung sich Darstellungen von Früchten aus fernen Ländern drängen. Ein Erker in der Kugelgasse Nr. 8 bietet einen bunten Themen-Mix: Hier finden sich ganz ungeniert neben dem Herkules, einem Vertreter des griechischen Götterhimmels, der heilige Jakobus, Schutzpatron der Pilger und Reisenden und gleichzeitig Namenspatron des Hausherrn, sowie an den Kanten heidnische Fratzen zur Abwehr böser Geister. Dem Kenntnisstand seiner Zeit entsprechend und selbstbewusst präsentiert der Besitzer des "Pelikan" -Erkers (um 1708) in der Schmiedgasse die vier damals bekannten Erdteile Europa, Afrika, Amerika und Asien.
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