Luzern, die Leuchtenstadt
Oft hört und liest man von Luzern als «Leuchtenstadt». Dieser Name hat nichts mit der überdurchschnittlichen
Intelligenz ihrer Einwohner zu tun, sondern geht auf ein Leuchtenwunder
zurück. Laut einer alten Legende hat nämlich ein Engel den ersten Bewohnern von Luzern mit
einem Licht die Stelle gewiesen, wo sie St. Nikolaus, dem Patron der Fischer und Schiffsleute,
zu Ehren eine Kapelle errichten sollten.
Stadt mit Vergangenheit
War Luzern im Mittelalter noch ein Fischerdörfchen, das als «kleines hölzernes Storchennest»
verspottet wurde, so entwickelte es sich im Verlauf der Jahrhunderte zu einer blühenden Handelsstadt. Ihre Lage am Gotthardtransit führte zu fruchtbaren internationalen Beziehungen auf
wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet.
Seit jeher haben Kirche und Militär das Leben der Luzerner Bürger bestimmt. Durch lukrative
Soldbündnisse verstanden es die Patrizier, die Kassen der Stadt und ihre eigenen zu füllen.
Beredtes Zeugnis für treue Pflichterfüllung im Dienste fremder Herrschaften legt das in Fels
gehauene, monumentale Löwendenkmal ab. Es erinnert an die heldenhafte, aber sinnlose Verteidigung
des Franzosenkönigs Ludwig XVI. durch die Eidgenossen. Als treue Anhänger des
Papstes sind die Luzerner stets für den römisch-katholischen Glauben eingetreten, waren Anführer
der katholischen Orte und gewährten dem päpstlichen Nuntius Gastrecht. In Luzern haben
die Jesuiten seit ihrer Berufung 1574 bis zu ihrer Vertreibung nach der Niederlage im Sonderbundskrieg
1847 das religiös-politische und kulturelle Leben mitgestaltet. Ihnen verdanken
wir unter anderem die festliche Jesuitenkirche, den ersten barocken Sakralbau der Schweiz.
Die momentane politische Landschaft sieht in ihren Farben recht verwirrend aus. In der Stadt
herrscht eine schwarze Mehrheit und im Kanton eine rote. In Luzern sind die Roten nicht sozialistisch,
sondern konservativ. Das heisst heute christdemokratisch; und die Schwarzen sind nicht
konservativ, sondern liberal. Diese aussergewöhnliche Farbgebung rührt von einer Verfassungsabstimmung
aus dem Jahre 1841 her, als die Befürworter der Verfassung, die sich aus dem Lager
der Konservativen rekrutierten, ihren Stimmzettel in eine rote, die Verfassungsgegner, zu
denen die Liberalen gehörten ihre Stimmzettel in eine schwarze Schachtel werfen mussten.
Stadt der Brücken und Türme
Zu den Hauptakzenten des Luzerner Stadtbildes zählen die beiden gedeckten, mittelalterlichen
Holzbrücken, welche die Gross- und die Kleinstadt miteinander verbinden. Am See-Ende führt die
Kapellbrücke, in leichter Knickung über die Reuss. Sie ist kurze Zeit nach dem um 1300 errichteten
Wasserturm gebaut und mit diesem durch einen Steg verbunden worden. Dieser trutzige,
achteckige Turm, Wahrzeichen der Stadt Luzern, diente früher verschiedenen Zwecken: als Aktenarchiv,
Aufbewahrungsort für kostbare Beutestücke, Tresor für den Staatsschatz sowie als
Gefängnis und Folterraum. 1408 wurde unterhalb der Stadtmühlen die Spreuerbrücke als Verbindung
der beiden unteren Stadtenden gebaut. Ihr Name rührt daher, dass nur von dieser Brücke
aus Spreu und Laub in die Reuss geschüttet werden durfte. Die beiden Brücken waren nicht in
erster Linie als Verbindungswege für Fussgänger errichtet worden, sondern als Teile der Stadtbefestigung.
Wehrgängen gleich schlossen sie über dem Wasser die Lücken im Mauergürtel der
Stadt. Im 17. Jahrhundert wurden die beiden Brücken mit dreieckigen Bildertafeln ausgeschmückt,
die im Dachstuhl befestigt wurden: auf der Kapellbrücke mit Szenen aus der Stadt und Schweizergeschichte sowie aus den Legenden der beiden Stadtpatrone St. Leodegar und
St. Mauritius; auf der Spreuerbrücke mit einem Totentanzzyklus. Bis ins 19. Jahrhundert besass
Luzern noch eine weitere gedeckte Holzbrücke, welche den Hofbezirk mit der Grossstadt verband.
Dieser älteste und längste der drei Fussgängerstege musste dem etappenweise aufgeschütteten
Schweizerhofquai Platz machen.
Ein weiteres Wahrzeichen der Leuchtenstadt ist die sogenannte Museggmauer, die bis auf einen
Turm in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten geblieben ist. Sie gehört zur mittelalterlichen Befestigung,
die 1408 abgeschlossen worden ist. Heute bildet ein Spaziergang auf und entlang der
Mauer eine grosse Attraktion. Von den Türmen herab - Schirmer-, Zyt- und Männliturm können
bestiegen werden - geniesst man einen herrlichen Rundblick auf Stadt und Umgebung. Am
weitherum sichtbaren Zytturm ist die älteste Uhr der Stadt und Umgebung. Die Ehrfurcht der Luzerner
gegenüber dem Althergekommenen zeigt sich darin, dass diese Uhr das Vorrecht hat, die
Stunden eine Minute vor den anderen Stadtuhren zu schlagen. Typisch für Luzern ist auch, wie
die Museggtürme, der Rathaus- und der Wasserturm unterhalten und genutzt werden. Der
Grossteil von ihnen wird gegen ein bescheidenes Entgelt an Gesellschaften vermietet, wie zum
Beispiel die Safran- und Weyzunft. Diese Gesellschaften haben als Gegenleistung die Türme in
Fronarbeit und mit eigenen Mitteln instand gesetzt und führen alljährlich Tage der offenen Türe
durch.
Stadt der Kunst und Kultur
Am Nachmittag des 25. August 1938 dirigierte Arturo Toscanini im Park von Tribschen vor rund
1'200 Zuhörern das «Sigfried-Idyll» von Richard Wagner. Musik und Aufführungsort waren bewusst
so ausgewählt worden. Denn Wagner hatte auf dem Landsitz Tribschen seinen fruchtbarsten
und glücklichsten Lebensabschnitt verbracht. Hier hatte er für seine Frau Cosima das
«Siegfried-Idyll» als Ständchen zur Geburt seines Sohnes komponiert. Toscaninis Konzert
bildete den glanzvollen Auftakt zum Lucerne Festival (früher Internationale Musikfestwochen
Luzern), das seither alljährlich Musikfreunde aus der ganzen Welt anziehen. Bekannt ist Luzern
auch für sein Dreispartentheater, das mit seinen relativ bescheidenen Mitteln in Sprechtheater,
Oper und Ballett beachtliche Leistungen produziert. Das Luzerner Theater gilt mit Recht als
Sprungbrett für begabte Künstler.
Auch auf dem Sektor der bildenden Kunst braucht sich Luzern nicht zu verstecken. Das
Kunstmuseum im Kultur- und Kongresszentrum Luzern konfrontiert seine Besucher in Wechselausstellungen
mit den aktuellsten Richtungen der modernen Malerei und Plastik. Daneben
nimmt es die Aufgabe wahr, moderne Schweizer Kunst zu sammeln. Wer zur Kunst des 19.Jahrhunderts neigt, kommt beim Besuch des Bourbaki Panoramas auf die Rechnung. Hier
zeigt das von Edouard Castres geschaffene riesige Rundgemälde die Bourbaki-Armee beim
Grenzübertritt in Les Verrières während des Deutsch-Französischen Krieges. Einen besonderen
Leckerbissen zeitgenössischer Kunst bietet ein Besuch des altehrwürdigen Am-Rhyn-
Hauses beim Rathaus, das eine qualitativ hochstehende Sammlung von Werken aus Picassos
Spätzeit birgt. Es handelt sich um eine grosszügige Schenkung des Picasso-Freundes und
Kunsthändlers Siegfried Rosengart an die Stadt Luzern. Zudem können seit März 2002 über
200 Gemälde und Zeichnungen von über zwanzig weltberühmten Meistern des 19. und 20.
Jahrhunderts im Museum der Sammlung Rosengart bewundert werden.
Neben der etablierten Kunst blüht auch eine vielfältige Kleinkunst in Luzern, wobei das vom
berühmten «Emil» (mit Nachnamen Steinberger) ins Leben gerufene Kleintheater besondere
Beachtung verdient. Kultureller Höhepunkt bildet aber jedes Jahr die Fasnacht. Sie liegt den
Luzernern im Blut. Am Schmutzigen Donnerstag bricht sie wie ein Orkan aus, erfasst die Stadt
eine Woche lang und klingt in den frühen Morgenstunden des Aschermittwochs aus. Wichtiger
und typisch luzernischer Bestandteil der historisch gewachsenen, traditionsreichen Fasnacht
sind die «Guggenmusigen», die sich jeweils zu einem «rüdigschönen» Monsterkonzert zusammenfinden
und anschliessend in einem Umzug durch die Altstadt ziehen.
Die Mordnacht von Luzern
Seit der Eröffnung des Gotthardpasses hatte sich Luzern dank seiner günstigen Lage vom
unbedeutenden Fischerdorf zu einem wichtigen Warenumschlagplatz entwickelt. Die politischen
und wirtschaftlichen Freiheiten der Leuchtenstadt waren allerdings durch die gestrenge
Herrschaft der Österreicher Herzoge stark eingeschränkt. Da die Luzerner nach Unabhängigkeit
und Selbständigkeit strebten, schlossen sie am 7. November 1332 mit den benachbarten
Waldstätten Uri, Schwyz und Unterwalden ein ewiges Bündnis. Mit diesem Bundesbeschluss
waren jedoch nicht alle Luzerner einverstanden. Es gab viele Anhänger Österreichs, die einen
Umsturz zugunsten der alten Herrschaft planten. In der Nacht des 24. Juli 1343 war es soweit.
Gegen Mitternacht versammelten sich die Verschwörer heimlich unter den Schwibbogen des
Zunfthauses zu Schneidern. Sie hatten sich mit roten Ärmeln gekennzeichnet und waren mit
Harnisch und Waffen ausgerüstet. Ihr Plan war es, überraschend in die Häuser der eidgenössisch
Gesinnten einzudringen, um diesen den Garaus zu machen.
Während sie den Schlachtplan berieten, wurden sie von einem Knaben belauscht, der zuvor
unter den Arkaden eingeschlafen war. Als dieser sich heimlich davonschleichen wollte, wurde
er gepackt und zur Rede gestellt. Zitternd vor Todesangst gestand er ihnen, ihre verschwörerischen Beratungen mitgehört zu haben. Weil er noch sehr jung war, wurde ihm das Leben geschenkt.
Er musste aber bei Gott und allen Heiligen schwören, niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen
über ihr Vorhaben zu erzählen. Noch so gerne kam er diesem Befehl nach und
legte den geforderten Eid ab.
Nachdem sie ihn freigelassen hatten, eilte er zum Weinmarkt, denn er wusste, dass zu dieser
späten Stunde noch Betrieb im Zunfthaus zu Metzgern war. Wie aber sollte er Luzern vor dem
geplanten Umsturz bewahren, wenn er zu niemandem sprechen durfte? Da hatte er einen rettenden
Einfall. Er betrat die Gaststube und drängte sich an den Tischen vorbei, an denen sich
Zunftleute bei Speis und Trank unterhielten. Vor dem Kachelofen begann er voll Verzweiflung
zu klagen: «Ofen, o Ofen wenn ich nur reden dürfte!» und fuhr mit lauter Stimme fort: «Ofen, o
Ofen dir muss ich es sagen!» Verwundert wandten sich die Gäste zum Knaben um und wollten
wissen, ob ihm etwas fehle. Der Knabe aber redete weiter auf den Ofen ein und erzählte alles,
was er Unter der Egg von der Verschwörung mitbekommen hatte.
Nun wussten die Metzger Bescheid. So schnell sie konnten, eilten sie nach Hause, griffen zu
den Waffen und alarmierten die Eidgenossen. Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um die Verschwörer
gefangen zu nehmen. Dank ihrem Kennzeichen, dem roten Ärmel, waren diese leicht
auszumachen. Zwar wurde ihnen das Leben geschenkt, so wie sie es dem Knaben gelassen
hatten. Doch die Anführer der österreichischen Partei wurden aus der Stadt verbannt und ihre
Güter beschlagnahmt.
Von dem klugen und beherzten Knaben, der seine Vaterstadt vor Schlimmem bewahrt hatte, ist
leider nicht einmal der Name überliefert.
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